Wir schulden euch da ja noch was:
Wie die Meisten von euch sicherlich mitbekommen haben sind wir schon seit einiger Zeit zurück in Deutschland. Seit des letzten Textes auf diesem Blog ist aber noch ein bisschen was passiert. Nachdem wir in Neuseeland angekommen sind, sind wir auch einige Kilometer durch das Land gefahren. Viele davon waren ganz sicher nicht unsere Lieblingskilometer auf dieser Reise. Und eigentlich gibt es auch schon einen Text zu Neuseeland. Da der jedoch aus der damaligen Laune heraus ziemlich negativ geworden war, hat es nun ein bisschen Zeit und Reflexion gebraucht, um noch einmal einen neuen Anlauf zu starten. Als wir damals an unserem auserkorenen Ziel in Neuseeland angekommen waren, waren wir körperlich und auch mental ziemlich fertig. Das letzte Land der Reise hat uns noch einmal alles abverlangt. Mit ein bisschen Abstand lässt sich vieles etwas besser einordnen und auch positiver wiedergeben.
Nicht, dass ihr noch was Falsches von Neuseeland denkt. Dieses Land ist ganz sicher eins der schönsten Flecken auf Erden. So viel landschaftliche Schönheit auf so kleiner Landesfläche ist wirklich sagenhaft. Allerdings ist das nun auch wirklich kein Geheimnis mehr, was dazu führt, dass es einfach voll ist. Voll mit touristisch reisenden Menschen, wie wir selbst auch. Wir mussten uns die meisten schönen Plätze und Momente also mit anderen Touristen teilen. Das waren wir noch so langer Zeit unterwegs aber überhaupt nicht mehr gewöhnt, weshalb wir auch einfach ziemlich überfordert waren mit dieser Tatsache.
Oft fühlte es sich für uns auch einfach unverdient für die Menschen an, die mit einem motorisierten Gefährt an die Orte gelangt waren, die wir uns hart mit dem Fahrrad erkämpft hatten. So standen wir häufig missgelaunt in den Horden an fotografierenden Touris, die völlig euphorisch die Schönheit der Landschaft mit der Kamera einzufangen versuchten. Keiner von denen lief auf zittrigen Beinen, völlig verschwitzt an den Aussichtspunkten herum und musste sich erst einmal einen Müsli Riegel reinziehen, um überhaupt etwas wahrnehmen zu können. Aber so haben wir uns das Reisen ja nun mal ausgesucht. Und rückblickend sind wir auch ziemlich stolz darauf all unsere Fotos vom Fahrrad aus gemacht zu haben und eben nicht aus dem Fenster eines Autos. Zudem haben wir festgestellt, wie schön es auch sein kann sich solche schönen Ausblicke und Landschaften mit anderen zu teilen. Es lässt sich viel besser darüber austauschen, wenn andere auch schon einmal am selben Ort waren, wie man selber auch. Irgendwie auch ein schönes Gefühl gemeinsam über Orte sprechen zu können. Und nicht ohne Grund schauen sich so viele Menschen Neuseeland an. Es ist einfach unfassbar wunderschön dort.
Da Neuseelands Straßennetz überschaubar ist, wälzt sich der Verkehr entsprechend über die wenigen vorhandenen Straßen. Es gibt also viele verzückte, langsam fahrende Touristen und noch mehr davon genervte Lokals. Die von den Neuseeländern geliebten Ford Rangers werden gerne, viel und schnell genutzt um von A nach B zu kommen. Langsam fahrende Wohnmobile stören dabei natürlich. Tatsächlich können wir das auch verstehen, wenn man als dort lebender Mensch ständig diese lahmen Gefährte vor sich hat. Was wir aber nicht verstehen ist, warum wir als Fahrradfahrer auf freier Straße so oft so knapp und ohne vom Gaspedal runter zu gehen überholt wurden. Mindestens einmal täglich kam es zu so knappen Überholmanövern, dass wir danach zitternd anhalten mussten, um uns wieder zu beruhigen. Wir wollen an dieser Stelle auch erwähnen, das wir andere Radfahrer getroffen haben, die das nicht so empfunden haben. Jeder hat da eine andere Toleranzgrenze. Unsere wurde täglich überschritten. Dadurch war es jeden Tag ein eher mulmiges Gefühl wieder aufs Fahrrad zu steigen und weiter zu fahren. Und wenn die Angst mitfährt hört die Freude am Radfahren einfach auf. Über die Zeit führte das vermutlich auch zu unserem eher negativen Gefühlen in Neuseeland.
Natur, dachten wir. Dann meiden wir halt die Straßen und fahren die eh viel schöneren kleinen Wege durch die Prärie. Hahahaaaaa…
Es gibt es genügend Gegenden, in denen man die meiste Zeit allein ist (mindestens einen Ford Ranger trifft man aber immer). Dorthin verirrt sich kaum ein Wohnmobil oder ein Mietwagen. Die Straßen sind nicht mehr befestigt und auch sonst gibt es dort eigentlich nichts, außer sagenhaft schöne Landschaft und ab und an ein paar Schafe oder Rinder.
In diesen Gegenden ist es jedoch hammerhart mit dem Fahrrad. Wir waren in keinem anderen Land so viel mit Schieben beschäftigt wie dort. Es ist oft steil, schmal, unfassbar steinig und unbarmherzig (und trotzdem als Radweg ausgewiesen). Und gerade wenn man dachte, wie bekloppt man eigentlich ist hier lang zu fahren, kam eine Horde rüstiger e-Bike Rentner im fragwürdigen Fahrstil vorbei. Während wir darüber nachdachten, dass es besser wäre jetzt keinen falschen Schlenker zu machen, da man sonst ins Tal hinab rauscht, kamen die zum Teil über 70 Jährigen fröhlich plaudernd dahergefahren. Richtig verrückt! Schon cool, wenn man in dem Alter noch so aktiv ist (oder so naiv, je nachdem). Und noch verrückter, wie anders Aktivitäten im Bereich des Machbaren eingestuft werden. In Deutschland wären die „Radwege“, die wir dort benutzt haben maximal als Wanderwege durchgegangen. Geschweige denn, wären dort Rentner auf e-Bikes entlanggeradelt.
Mit unseren vollgepackten, ungefederten Reiserädern hatten wir diese Trails auf jeden Fall schnell genug. Unsere Räder taten uns richtig leid, was wir sie da mit uns durchmachen mussten. Auf magische Weise ist aber nichts kaputt gegangen. Mit mindestens einer gebrochenen Speiche rechneten wir eigentlich täglich.
Nachdem wir uns also einige Kilometer fluchend diese holprigen Wege entlanggebahnt hatten, sehnten wir uns schnell wieder nach den glatten Straßen. Sobald wir dann aber wieder auf einer Straße fuhren war es umgekehrt. Wir wünschten uns die verdammten Holperpisten zurück. Wir hatten somit regelmäßig die Wahl zwischen gefährlichen Straßen oder hammerharten Mountainbike Trails. Beides hatten wir irgendwann einfach nur noch über. Beides war enorm anstrengend. Das eine für den Kopf, das andere für die Beine. Da konnte manchmal dann nicht mal mehr die atemberaubende Landschaft etwas retten. Rückblickend waren wir mental und körperlich völlig am Ende. Körperlich war Neuseeland definitiv das anstrengendste Land.
Hinzu kam die für uns extreme Versorgungssituation. Einkaufsmöglichkeiten lagen oft weit auseinander, sodass unsere Räder auch noch extra schwer waren auf den ohnehin schon heftigen Etappen. Und auch die Schlafgelegenheiten waren eine ungewohnte Herausforderung, da das Wildzelten dort streng verboten ist. Es gib jedoch viele vom Land geschaffene Alternativen in Form von ganz simplen Naturzeltplätzen, die wir gerne genutzt haben. Das ist häufig einfach nur eine Grasfläche mit einem Plumsklo und einem Wasserhahn, mehr brauchen wir ja nicht und dafür liegen die meist irgendwo mitten in der Natur. Aber eben natürlich auch nicht direkt nebeneinander. Die Strecke wollte also gut geplant sein, damit wir Essensbeschaffung und Übernachtungen unter einen Hut bekamen. Diese Art der extrem genauen Routenplanung war für uns, die wir meistens von Tag zu Tag einfach drauf losgefahren sind, ziemlich erschöpfend. In keinem anderen Land haben wir so oft auf die Karte geschaut und uns so oft versichern müssen, dass wir wirklich genug zu Essen dabei haben. Auch das strengt auch mental auf Dauer ganz schön an.
Auf der Plus Seite haben wir aber in Neuseeland die wohl meisten schönen menschlichen Begegnungen gehabt. Und zwar in dem Sinne, dass wir uns auch mal einen ganzen Abend lang mit anderen unterhalten konnten. Endlich konnten wir uns mit anderen austauschen und Geschichten erzählen. Darauf hatten wir uns schon ewig gefreut. An dieser Stelle sei noch einmal das Prinzip von Warmshowers erklärt. Dies ist eine Plattform, auf der Reisende eine Möglichkeit zum Übernachten bei Übernachtungsmöglichkeitsbereitstellenden finden können. Wenn ihr also Lust darauf habt dankbare Reisende für eine oder mehrere Nächte unterzubringen (und wenn es nur ein Fleckchen Rasen fürs Zelt im Garten ist), dann meldet euch doch dort an (alternativ auch bei 1NITETENT). Mit einer warmen Dusche, einer Waschmaschine und einem Bett könnt ihr sehr viele Menschen, sehr glücklich machen. Wenn es dann auch noch Essen dazu gibt, wäre das natürlich der Wahnsinn (Hinweis: Manchmal ist man aber so fertig von der Etappe, dass man einfach nur schlafen möchte. Nehmt es also niemandem übel, wenn die Reisegeschichten am Abend deshalb ausfallen).
Warmshowers haben wir in Neuseeland ziemlich ausgiebig genutzt. Es war einfach richtig schön so viele herzliche und liebe Menschen zu treffen, die sich wirklich rührend um uns gekümmert haben.
Als letzten Knackpunkt (danach ist auch Schluss mit dem Gejammer!) stellte sich das Wetter heraus. Unglaublicher weise haben wir in den Monaten vor Neuseeland so gut wie keine Regentage gehabt. Zumindest war das Wetter oft vorhersehbar und wir konnten uns darauf einstellen. Nicht aber auf dieses maritime Klima. Neben dem ganzen Stress mit der Routenplanung und Essensbeschaffung, den anstrengenden Etappen und den gefährlichen Straßen waren wir auch noch permanent dabei das Wetter zu checken. Wir als Schönwetterfahrer wussten überhaupt nicht damit umzugehen, dass es auch mal ein paar Tage lang regnen konnte. Noch dazu konnten wir einen Regentag dann auch oft nicht einfach aussitzen, weil wir nicht ausreichend Essen dabei hatten. Ihr merkt schon… wir hatten unser Tun in diesem Land. So schön wie es auch ist mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Es hat seine Herausforderungen. Und ganz sicher waren wir auch schon ein bisschen Reisemüde. Vielleicht wäre alles ganz anders gewesen, wenn wir mit Neuseeland angefangen hätten. Vielleicht hätten wir dann ganz begeistert davon berichtet. Und eine von uns war auch schon einmal in Neuseeland und hat sich damals unsterblich in dieses Land verliebt. Mit dem Fahrrad dort unterwegs zu sein hat der Liebe jedoch einen ziemliches Loch ins Herz gebohrt. Es ist halt eben immer eine Frage der Perspektive und vor allem auch des Fortbewegungsmittels. Wenn man dort mit einem Van und einem Mountainbike unterwegs ist und die ganzen Trails mit dem Mountainbike macht und dann mit dem Auto auf der Straße bis zum nächsten Trail fährt, ist es vermutlich ganz fantastisch dort zu reisen UND Fahrrad zu fahren. Für uns wars halt eben hart. Aber eben auch Neuseeland. Und natürlich konnten wir uns auch nicht völlig dem Charme dieses Landes entziehen. Es ist ja immer noch Neuseeland.
In keinem anderen Land waren wir so viel wandern, um möglichst viel von der Schönheit des Landes aufzusaugen. Diese ganzen flugunfähigen und beinahe handzahmen Vögel überall, diese wunderschönen, verschnörkelten, uralten Wälder und das faszinierende Licht, zusammen mit der einzigartigen Farbenpracht der Natur ist einfach unbeschreiblich. Nirgends sonst haben wir so klare Gewässer gesehen und nirgends sonst haben wir so viel über die Vielzahl an unterschiedlichen Landschaften gestaunt.
Und so ungern wir es machen, aber auch hierzu müssen wir noch etwas loswerden, was uns auf dem Herzen liegt. Denn vor allem durch die unglaubliche Schönheit zeigt sich auch in Neuseeland, wie sehr sich der Mensch in diese wilden, unberührten Landschaften hineinfrisst. Neuseeland wurde, wie viele andere Länder auch, kolonialisiert. 1840 gilt als Gründungsjahr Neueelands im britischen Sinne. So gesehen ist es noch keine 200 Jahre alt. Und mit einer Einwohnerzahl von etwas über 5 Millionen und ca. 20 Einwohner pro km2 (Vgl. Deutschland: 233 Einwohner pro km2) sollte man eigentlich meinen, dass die Menschen dort nicht so viel Platz zum Leben brauchen. Jedoch wird insbesondere die fruchtbare Nordinsel seit knapp 200 Jahren verständlicher Weise auch recht intensiv genutzt. Waldflächen wurden hier oft durch Weideland ersetzt. Und so sehr mein Herz für die Landwirtschaft schlägt, so schwer fällt es mir mit anzusehen wie natürlicher Lebensraum verschwindet. Wenn man sich überlegt wie schnell natürlicher Lebensraum durch den Menschen schwindet und wie lange es dauern würde, diesen wieder herzustellen ist das schon auch wirklich traurig. Dies gilt natürlich für jedes Land auf dieser Welt. Und gerade Neuseeland tut auch wirklich viel dafür die besonderen natürlichen Habitate zu erhalten. Nichtsdestotrotz ist es niederschmetternd zu sehen, wie Menschen Lebensräume innerhalb kürzester Zeit für sehr lange Zeit verändern.
Vollkommen fertig und auch ein wenig ernüchtert kamen wir dann trotz aller Strapazen (oder gerade deswegen) mit klopfenden Herzen an unserem Ziel an. Die angepeilte, ehemalige Gastfamilie von vor 10 Jahren wusste nichts von ihrem Glück und wir fuhren einfach ohne Ankündigung bei ihnen die Einfahrt hoch. Am Haus angekommen wurden wir ungläubig und mit riesiger Freude begrüßt. Die damals als Au Pair betreuten Kinder waren gar keine Kinder mehr und trotzdem war immer noch alles beim Alten. Nur eben 10 Jahre später. Die darauf folgenden 6 Wochen durften wir dann mit der Familie verbringen und es war ganz wunderbar. Endlich hatten wir mal wieder ein längerfristiges „Zuhause“, einen Kühlschrank und eine Waschmaschine und sogar ein Auto durften wir benutzen. Zudem konnten wir dadurch noch einmal am alltägliche Leben der Kiwis teilnehmen. Und genau das war es, was mich damals am meisten fasziniert hat. Die neuseeländische Art das Leben leicht zu nehmen und aus nichts ein Drama zu machen, sondern sich eher auf die guten Sachen im Leben zu konzentrieren ist etwas, von dem wir uns etwas abschneiden möchten. Statt zu jammern, wird dort vieles einfach gemacht. Freundlichkeit ist selbstverständlich und es sind einfach alle nett zueinander. Und wenn mal jemand unfreundlich ist, dann fällt es sofort auf. Somit kam über die Zeit auch die alte Euphorie und die Liebe zum Land zurück und wir genossen es dann doch noch sehr in Neuseeland zu sein. Hier zeigt sich wieder einmal dass es nicht unbedingt die Landschaft sein muss, sondern einfach die Menschen um einen herum.
Wir hatten also eine richtig gute Zeit, bis es wieder an der Zeit war Kisten zu packen. Und so sehr der Abschied auch schmerzte, so sehr freuten wir uns auch auf Deutschland und darauf Familie und Freunde wiederzusehen. Auch am Flughafen verlief alles unkompliziert und freundlich und schon waren wir durch alle Sicherheitskontrollen durch und warteten auf den Flieger gen Westen. Nachdem wir so lange Zeit Richtung Osten geradelt waren.