Gorgeous Georgien

Ab der Grenze war alles anders: Keine Seitenstreifen an den Straßen mehr, Menschen in kurzen Klamotten, Frauen im öffentlichen Raum, kein Çay mehr, dafür überall Alkohol. Es war überwältigend. Nach vielen Wochen in der Türkei war das erst einmal wieder ein kleiner Kulturschock, durchaus im positiven Sinne. Einerseits fanden wir uns mittlerweile in der Türkei richtig gut zurecht. Wir wussten, was es in den Läden zu essen gibt, wo es Wasser gab und wie die Menschen ticken. Andererseits waren wir auch neugierig auf etwas Neues. 

Verkehr
Und das bekamen wir auch. Der Grenzübertritt war definitiv der krasseste. Direkt nach der Grenze mussten wir uns als allererstes an den neuen Fahrstil gewöhnen. Wir dachten zwar, dass wir seit der Türkei gut gewappnet sind, aber nein. Es geht auch doller. Durch den fehlenden Seitenstreifen sind die Straße plötzlich viel schmaler und der Abstand zum Überholen entsprechend deutlich geringer. Zumal die LKWs zum Überholen eigentlich auf die Gegenspur hätten fahren müssen, um uns vernünftig Überholen zu können. Auf der Gegenspur war aber auch durchgehend Verkehr, sodass das vernünftige Überholen schlicht nicht möglich war. Hinzu kam noch, dass direkt hinter der Grenze eine recht große Stadt liegt, in die genau eine Straße führt. Der gesamte Grenzverkehr wälzt sich also dort entlang. Als Fahrradfahrer ist man dort entsprechend fehl am Platz. In Batumi selbst wurde es noch schlimmer. Dort gibt es keine Fahrspuren und die Autofahrer machen sich die Welt, wie sie ihnen gefällt. Aus einer eigentlich einspurigen Straße entsteht schon einmal eine dreispurige, in beide Richtungen versteht sich…zusammengefasst: es ist viel auf einmal. Und am allerwichtigsten ist das Hupen!

Nachdem uns dann aber auf der Autobahn die ersten Kühe begegnet sind, wurde uns schnell klar, dass die Autofahrer schon doch auch irgendwie ihr Umfeld beobachten müssen. Denn die Kühe stehen oder liegen einfach stoisch mitten auf der Straße kauen wieder und bisher haben wir nicht ein einziges versehrtes Rindviech gesehen. Im Laufe der Zeit in Georgien lernten wir noch, dass sämtliche Nutztiere auf den Straßen unterwegs sind. Kühe, Schweine, Ziegen, Enten, Gänse und co. werden morgens einfach raus gelassen und abends wieder eingesammelt. Richtig witzig! Aber zurück zum roten Faden.

Als wir uns aus dem Stadtverkehr rausgewühlt hatten, blieben wir einige Tage am schwarzen Meer und versuchten uns ans neue Klima zu gewöhnen. Die Schwüle machte uns ziemlich zu schaffen. Mit einigen Abkühlungen im Meer ließ es sich aber aushalten und nach einigen Tagen machten wir uns wieder auf den Weg.

Sturm
Das Ziel waren diesmal die Berge des mächtigen Kaukasus. Echte 5000er sollten wir hier zu Gesicht bekommen. Wir waren gespannt wie Flitzebögen und konnten es kaum erwarten mal wieder im Gebirge zu sein. Jedoch hatte der Wind offenbar etwas dagegen uns dort ankommen zu lassen. Wir bekamen es mit Sturmböen von bis zu 90 km/h zu tun, die uns sowohl natürlich tagsüber quälten, als allerdings auch nachts um den Schlaf brachten. Unsere Taktik es möglichst schnell möglichst weit die Berge zu schaffen, um dem Wind zu entkommen, scheiterte kläglich. Nach 2 quasi schlaflosen Sturmnächten und heftigen Etappen krabbelten wir am 3. Tag sobald ein Funken Licht am Himmel zu erahnen war aus dem Zelt und wollten einfach weiterfahren, um tiefer in die Berge zu kommen. Dafür sollte es nun für die nächsten 3 Tage bergauf gehen. Da der Wind aber immer noch extrem stark blies und wir nun eine deutliche Steigung zu bewerkstelligen hatten war ein Vorankommen quasi unmöglich. Mit gerade einmal 2 km/h versuchten wir uns dem Sturm entgegenzuwerfen, gaben aber nach einer Stunde und entsprechend zwei Kilometern in einer Haltebucht auf. Nachdem wir unsere Optionen abgewogen hatten und zurück keine Option war und Ausharren eigentlich auch nicht, beschlossen wir es weiter zu versuchen in der Hoffnung, dass der Wind irgendwann nachlassen würde. Die Tage zuvor hatten uns jedoch schon gelehrt, dass der Wind einfach nie nachlässt. 

Aber wie es so ist, wenn die Situation ausweglos erscheint, hielt auf einmal ein Transporter neben uns und der Fahrer gab uns vehement zu verstehen, dass wir doch bitte einsteigen sollen. Wir konnten nicht widerstehen und so geschah es, dass sich unsere 3 Tage bergauf Fahrt in Luft auflöste und uns der Fahrer bis fast ganz oben mitnahm.
Wir kamen so also in den Genuss den Fahrstil eines Georgiers nicht nur von außen zu erleben, sondern auch aus der Fahrerkabine heraus. Sagen wir so: es war ein Erlebnis, von dem wir uns beide nicht sicher waren, ob wir es gut fanden oder nicht. Als einzige weitere Beschreibung dieser Fahrt sei noch gesagt, dass wir beim Aussteigen vermutlich durchgeschwitzter waren, als wir es gewesen wären, wenn wir mit Fahrrad gefahren wären… Weitere Details lassen wir mal außen vor. 

Als wir ausgestiegen waren, wurde uns auch der Grund ersichtlich, warum der gute Mann dort hochgefahren ist. Er hatte nämlich einen 10 L Kanister für seine Angestellten, den er ihnen vorbei bringen wollte. In dem Kanister befand sich natürlich Tschatscha, der natürlich dann auch gleich verkostet werden musste. Natürlich nicht ohne uns vorher noch zu zeigen, dass das Zeug auch brennt, wenn man es anzündet…
Wir tranken also ein paar Runden und waren uns anschließend sehr sicher, dass sämtliche Keime in uns nun abgetötet waren. Was für eine Begegnung! Wir waren wahnsinnig glücklich über alles was passiert war, vor allem dass wir dem Wind entkommen waren.

Kern gesund schwangen wir uns nun also wieder auf die Räder, um die letzten 25 km Anstieg noch hinter uns zu bringen. Auf einmal wurde man auch ganz anständig überholt, ganz verrückt! Oder bildeten wir es uns nur ein, vielleicht wegen… ach naja, wie dem auch sei, wir fuhren also selig in die schneebedeckten Berge schauend mit einem fetten Grinsen im Gesicht vor uns hin, als schon wieder ein Transporter neben uns hielt und uns bedeutete zu warten. Der Fahrer stieg aus, lief um den Wagen herum, kam wieder zurück und drückte jedem von uns ein Eis in die Hand. Dann stieg er wieder ein und fuhr weiter. Wir konnten es selber kaum fassen. Nun wurden wir 100km bergauf mitgenommen und konnten somit vor dem Sturm fliehen, wir hatten die vermutlich „reinste“ georgische Erfahrung gesammelt, wie waren in der spektakulären Landschaft angekommen, die Sonne schien und nun gab es auch noch ein Eis? Besser gehts nicht!

Ohne Rad wandern 
In Mestia (vorläufiges Ziel in den Bergen) angekommen suchten wir uns eine Unterkunft für einige Tage und erkundeten in den nächsten Tagen wandernd die Gegend. Es ist wirklich der absolute Wahnsinn dort. Die Berge sind wahnsinnig schön, der Ausblick unbeschreiblich. Für alle Wanderfreunde unter euch: Hin da! 
Einziger Wermutstropfen ist vielleicht, dass der Tourismus zunehmend Einzug erhalten hat und vermutlich auch weiterhin ausgebaut wird. Selbst die steilsten Wanderwege werden Menschen in den unglaublichsten 4×4 Autos (die überhaupt gar nicht danach aussehen) hochgefahren. Oben angekommen werden schnell einige Fotos gemacht, bevor es im Auto wieder runter geht. Wo bleibt da die Wertschätzung vor der Leistung dort Hochzulaufen und die Achtung vor der Natur? Nur, wer wirklich dort hochwandert sollte es auch verdient haben dort zu sein. Ganz ohne Anstrengung ist das unfair, finden wir.
Immerhin wissen wir jetzt, welches Auto wirklich was kann: falls uns jemand also einen Mitsubishi Delica 4×4 kaufen möchte, gerne!

Wildes Herz 
Nach ein paar Tagen in Mestia ging es weiter in Richtung des höchsten Punktes unserer Tour. Fernab von jeglicher Zivilisation liegt das Bergdorf Uschguli, was aus mehreren Teilen besteht. Der höchste Teil des Ortes liegt auf 2200 Metern. Somit liegen hier bis zu 6 Monate im Jahr Schnee. Wenn man nun die aus Stein gebauten Häuser und die einfachen Bedingungen, unter denen die Menschen dort leben, betrachtet kann man nur staunen. Wer hier das ganze Jahr über lebt, muss mutig sein. So überrascht es nicht, dass die wörtliche Übersetzung des Wortes Uschguli „mutiges oder wildes Herz“ bedeutet. Es ist wirklich wahnsinnig schön dort. Umgeben von den Bergen an einem Gletscherfluss gelegen, konnten wir uns gar nicht satt sehen. Die Vorstellung hier zu jeder Jahreszeit zu leben, lies uns ehrfürchtig werden. Die Menschen müssen die wenigen ertragreichen Tage im Jahr in vollen Zügen nutzen, um Vorräte für den Winter anzulegen. Sowohl Vorräte für sich, als auch für ihre Tiere, denn Nachschub kann nicht aus anderen Orten beschafft werden. Die Straßen sind im Winter unbefahrbar. 
Es ist wirklich ein bisschen wie man sich das Leben im Mittelalter vorstellt. Nur, dass auch hier im Sommer der Tourismus Einzug erhält, der den dort lebenden Menschen sicherlich zusätzliches Einkommen verschafft. Jedoch ist auch hier wieder zu beobachten, dass durch zunehmend mehr werdende Besucher neue Unterkünfte in völlig anderem Stile errichtet werden, die dem Ortsbild fremd erscheinen. Wiedereinmal waren wir hin- und hergerissen, ob es richtig ist viele Menschen nach Uschguli zu bringen. Wirklich wünschenswert wäre ein schonender Tourismus, der es nicht auf die Massen absieht. Weg mit den Autos, her mit den Menschen, die zu Fuß gehen (oder Fahrrad fahren). 

Gletscher 
Wir hatten uns also nach Uschguli gekämpft und sind dann bis ans Ende vom Gletschertal gefahren (mehr gehoppelt bei dem Weg). Dort angekommen waren wir überwältigt von eindrucksvoller Kulisse ganz dicht am Gletscher, unter dem höchsten Berg Georgiens. Und als ob es nicht schon perfekt war, kam dann auch noch ein Mann zu uns und gab uns eine riesige Tüte voller Essen. In der Tüte gab es mehrere Khachapuris, Brote, Käse, Fleisch, Obst und Gemüse. Es war so viel, dass wir uns davon einen ganzen Tag ernähren konnten, was bedeutete dass wir eine weitere Nacht in dem Tal verbringen konnten. Wahnsinn! Das Land und die Leute meint es wirklich unglaublich gut mit uns. Als Radreisender Essen geschenkt zu bekommen ist wirklich das allerbeste Geschenk. Hunger haben wir nämlich eigentlich immer.
Am nächsten Tag besuchten wir natürlich noch den Gletscher. Hier wird einem wieder einmal schlagartig bewusst welche Naturgewalt dahinter steckt. Die Gletscher haben die Landschaft geformt und tun dies nach wie vor. Gleichzeitig lässt sich das schnelle Schmelzen der Giganten deutlich erkennen und traurig werden. Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis es diese Naturschönheiten nicht mehr zu bestaunen gibt.

Pass 
Nach 2 wunderschönen Tagen in Uschguli machten wir uns weiter. Ein letztes Mal ging es bergauf bis auf den Pass, der der höchste Punkt der Tour sei sollte. Dort bogen wir auf einen noch steileren Weg ab, um zu einer Kapelle zu gelangen, bei der wir eine letzte Nacht in den Bergen verbrachten. Da wir den Pass recht früh erreicht hatten, ließen wir uns die Gelegenheit nicht entgehen zu Fuß noch einen 3000er zu erklimmen. Von unten sah es gar nicht weit aus…auch wenn es dann weiter war als gedacht hat sich der Aufstieg (wie immer) gelohnt. Der 360 Grad Blick war phänomenal. Sogar Uschba, den markanten Doppelgipfel im Hauptkamm des Kaukasus, bekamen wir noch einmal zu Gesicht. Eine Aussicht, die man sich tagelang anschauen könnte ohne es langweilig zu finden. 
In der Nacht wurde es kalt und wundervoll sternenklar. Erst in sehr abgelegenen Orten sieht man wie viele Sterne es eigentlich gibt. Auf unserer Reise durften wir den spektakulären Nachthimmel schon ein paar Mal erleben und es ist jedes Mal unglaublich. Gerne hätten wir die ganze Nacht in die Sterne gestarrt aber irgendwann sind uns dann doch die Augen zugefallen. 

Abwärts 
Von nun an ging’s wieder nach unten. Auf den grob schottrigen Straßen ist man dabei bergab nicht unbedingt schneller als bergauf. Trotzdem erfrischend auch mal wieder eine andere Neigung zu erleben. Je weiter wir nach unten fuhren, desto mehr Orte durchfuhren wir wieder. Selbst die Orte sind in Georgien wunderschön. Die meisten Häuser sind altehrwürdige Villen, die trotz längst vergangener Glanzzeiten noch toll anzusehen sind. Und die Grundstücke dazu erst. Haaaach ihr merkt selber, das Schwärmen hört einfach nicht auf.

Nun ist die Landschaft wieder weniger bergig und weniger grün. Fast wieder eher türkisch. Zur Abwechslung haben wir auf dem Weg mal wieder eine Hauptstadt mitgenommen, nachdem wir die letzten beiden geschwänzt haben. Seit wir in Tbilisi angekommen sind haben wir quasi das Bett nicht verlassen und genießen es sehr einmal nichts zu tun. Es regnet tatsächlich aber auch hier endlich (für uns leider) einmal. Es soll aber wieder sonnig werden. Gott sei Dank, wir wurden ganz panisch bei den dunklen Wolken am Himmel. Mit Regen konnten wir gar nicht umgehen. Aber die Regenjacken sind tatsächlich noch dabei, sie sind noch nicht beleidigt abgehauen, weil wir sie nie benutzen.

Morgen erkunden wir die Stadt. Was wir bisher von weitem gesehen haben, erscheint uns die Stadt wie die Erklärung eines Oxymorons: eine Paarung schriller Gegensätze (diesen Satz wollte ich schon immer mal unterbringen. Grüße gehen raus an die Schulzeit und die wichtigen Dinge, die wir dort fürs Leben gelernt haben).

Bald gehts ins nächste Land. Wisst ihr schon welches?

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Sonja

    wahnsinnig schön!

  2. Ralf vom Berge

    Man könnte fast den Eindruck gewinnen, das macht euch Spaß :oD

  3. Jörg Petersen

    Bekommen wir den Gletscher noch zu sehen? 🙂

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