Geschockt aber glücklich

Wir haben irgendwann einmal gesagt:

1 Tag mit dem Fahrrad zu fahren = ca. 1h Autofahren, 
1 Woche mit dem Fahrrad = ca. 1 Tag mit dem Auto und 
1 Monat mit Rad unterwegs zu sein ist = ca. 1 Flugstunde
(es kommt natürlich auf die Berge und den Gegenwind an). 

Wir sind aus Kuala Lumpur insgesamt 13h geflogen (ohne große Umwege)…

Und auch wenn man es kaum glauben mag ist so eine große Veränderung wie nach einem Flug auch für uns nervenaufreibend. 
Eigentlich leben wir ja jeden Tag mit vielen Ungewissheiten: wo werden wir lang fahren, wird es genug Läden zum Einkaufen geben, wo schlafen wir und was passiert auf dem Weg? Jeden Tag verändert sich die Landschaft, die Kultur, die Menschen, jeden Tag gibt es etwas Neues. Und doch ist das eben ein langsamer Prozess. Auf dem Fahrrad schaffen wir es maximal um die 100 km weit. Auf 100 km ändert sich nun aber nicht wahnsinnig viel. Fährt man von Hannover nach Braunschweig oder von Magdeburg nach Halle gibt es sicherlich keine riesigen Veränderungen. Nimmt man nun aber mehrere Tage auf dem Fahrrad und addiert die Kilometer zusammen, findet eben doch eine Veränderung statt. Wenn es von Magdeburg oder Hannover nach München geht, ist man plötzlich schon in einer anderen Umgebung. Die Landschaft ist anders, die Kultur auch und ganz sicher auch die Mentalität. Ist man mit dem Rad unterwegs hat man Zeit sich darauf einzustellen. Es ändert sich jeden Tag nur ein kleines bisschen was. Das ist nach 10 Monaten auf Reisen irgendwo unser Alltag geworden, der ganz sicher auch nicht mehr so aufregend ist wie am Anfang. Es ist eben ein Alltag mit täglichen kleinen Veränderungen, an die wir uns gewöhnt haben. 

Wenn es aber ums Fliegen geht, werden auch wir wieder aus unserer Komfortzone gelockt. Man überfliegt innerhalb kürzester Zeit so unfassbar viele Kleinigkeiten an Veränderung, dass es am Ankunftsort wie eine andere Welt ist. Wenn man in einen Urlaub fliegt ist das irgendwie selbstverständlich und ja auch gewollt. Wenn wir es uns aussuchen könnten, würden wir aber lieber alles langsam angehen und eben nicht so viel auf einmal überspringen, sondern den Übergang der Änderungen erleben. 

Da wir nun aber genug hatten von diesem tropischen Klima und man nach Neuseeland eben nur über den Luftweg kommt, mussten wir das wohl so in Kauf nehmen. Also ab zum Flughafen. 

Alles da
Obwohl wir (aus uns immer noch unbekannten Gründen) geschlagene 40 Minuten am Schalter standen, um unser Gepäck aufzugeben und wir uns danach unnötiger Weise 16h lang verrückt gemacht haben, kamen wir mit samt unserer Kisten wohlbehalten in Neuseeland an. Und auch der dort von uns sehr gefürchtete Biosecurity Check – für den wir ungefähr eine Woche lang ALLE Dinge, die wir dabei haben, aufs peinlichste genau gesäubert hatten – verlief ohne Probleme. Dabei waren wir so gut vorbereitet… Sie haben nicht mal die Fahrradreifen auf Dreck untersucht! Lediglich unser Zelt wurde einmal genauer unter die Lupe genommen. Offenbar war das aber so sauber, dass sie sich den Rest unsere Sachen wohl gespart haben. Wir wurden also nicht als Gefahr für die empfindliche Natur Neuseelands eingestuft und konnten ganz entspannt ankommen ohne vorher all unseren Krempel auspacken zu müssen. Auch gut. 

Alles anders
Da waren wir nun also. Das erste was uns sofort über glücklich machte war, dass wir den Flughafenterminal verließen und uns vor der Tür keine tropischen Temperaturen mehr entgegen schlugen. Herrlich kühl war es. Wunderbar!

Wir bauten unsere Fahrräder zusammen, freuten uns noch einmal dass wirklich alles angekommen und nichts kaputt gegangen war (außer der vor dem Abflug neugekaufte Spiegel – Scherben bringen ja aber bekanntlich Glück) und fuhren zum gebuchten Zeltplatz. 

Hier verflog unsere gute Laune dann zunächst für einige Tage. Zum einen sahen wir nach Monaten das erste mal eine richtig fette graue Regenwolke, die uns direkt in Panik versetzte. Zwar hatten wir in Malaysia schon ein bisschen mit Regen umzugehen gelernt, jedoch wussten wir dass es dort immer nur von kurzer Dauer war wenn es regnete. Wir bauten also fix unser Zelt auf und waren ganz verblüfft, dass noch andere Radfahrer in unserer Nähe ihr Zelt aufgebaut hatten. Auch das hatten wir schon sehr lange nicht gesehen. Generell andere Zelte waren schon besonders, aber auch noch andere Radreisende? Ganz verrückt. Überhaupt schien sich niemand wirklich für unsere Art des Reisens zu interessieren. Wir finden das ja grundsätzlich ganz angenehm nicht im Mittelpunkt zu stehen und Aufmerksamkeit zu bekommen. Dennoch waren wir es durch die letzten Monate so gewöhnt. Die Gleichgültigkeit, die uns hier entgegen schlug mussten wir erst einmal zu deuten lernen. Wir waren einfach wieder normal (wie lange wir uns das gewünscht hatten!). So welche wie uns gibts hier überall. Das Land ist populär unter Radreisenden, entsprechend viele gibt es hier davon. Man wird immer noch häufig gegrüßt oder bekommt einen Daumen hoch aber eben viel seltener.

Und unsere wohl größte Herausforderung war die schier unendlich scheinende Masse an Campervan Touristen, die einfach überall sind. Darauf waren wir nicht vorbereitet. Klar ist Neuseeland schön und die Landschaft ist einzigartig, aber SO viele Touristen fanden wir dann doch erst einmal überwältigend. 
Jetzt haben wir uns 10 Monate darüber aufgeregt, dass man doch aus so vielen Ländern so viel mehr machen könnte und jetzt regen wir uns darüber auf, dass dieses Land es einfach zu perfekt macht. Der Tourismus hier ist so enorm gut organisiert. Alles hat Hand und Fuß, alles ist super gut erklärt und zugänglich, die Attraktionen sind gepflegt, es gibt überall kostenlose Toiletten und Trinkwasserspender, die Menschen sind unglaublich nett und alles in allem ist es sehr perfekt. Entsprechend attraktiv ist das Land eben auch zum Reisen. Irgendwie hat es Neuseeland, diese kleine Insel am Ende der Welt, geschafft ein Traumziel zu werden. Jeder hat eine Vorstellung davon und jeder möchte mal dort hin. Und ganz sicher hat es das Land auch verdient gesehen zu werden. Aber es gibt auch noch soooo viele andere Länder, die mindestens genau so schöne Landschaften zu bieten haben (vielleicht nicht auf so kleiner Fläche) und die definitiv genau so viel Aufmerksamkeit verdient hätten, die aber nur sehr wenige Menschen besuchen. 
Andererseits ist es vielleicht auch gut so, dann sind diese Länder nicht so touristenüberladen wie Neuseeland. 

Alles gut
Da standen wir nun also auf dem piekfeinen Zeltplatz inmitten von 1000 Campervans und neben vier weiteren Radreisenden mit einer fetten Regenwolke über unseren Köpfen in einer sehr heilen Welt voller Überfluss. Wir erlebten wohl den so oft genannten Kulturschock. Auch wenn wir es so nicht erwartet haben, hat uns das Zurücksein in einem westlichen Land ziemlich erschrocken und wir brauchten ein paar Tage, um uns mit den damit einhergehenden Annehmlichkeiten wieder anzufreunden. 

Nun schätzen wir aber vor allem die großen Supermärkte in denen es einfach ALLES gibt. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen wie geil so ein Supermarkt sein kann! Auch das uns bekannte Essen rief eine riesigen Gaumenfreude hervor und wir genießen es uns wieder mit Menschen unterhalten zu können. 
Auch die Zuverlässigkeit von Zusagen hat hier wieder einen Wert und man kann sich tatsächlich darauf einstellen dass Dinge passieren, die einem versprochen wurden. Das ist auch ne super Sache! 
Und die wohl wirklich größte Erleichterung ist nach wie vor das Klima. Wir dachten schon unsere Schweißporen werden niemals mehr aufhören auszulaufen. Jetzt haben wir sogar mal wieder lange Klamotten an und können uns abends wieder in den Schlafsack mummeln. Zudem sind die Tage wieder herrlich lang und wir müssen nicht um fünf Uhr nachmittags panisch anfangen unser Lager für die Nacht aufzubauen, weil es dann schlagartig dunkel wird. Wir haben hier wieder richtig entspannte lange Abende nach einem anstrengenden Radfahrtag. Auch das ist ganz wunderbar. 

Alles geplant
Einziger Wermutstropfen: Wildzelten ist größtenteils verboten. Somit sind unsere Etappen jeden Tag ziemlich fest vorgegeben und wir müssen deutlich mehr im Voraus planen als sonst. Einfach in den Tag hineinfahren und schauen wo es ein nettes Plätzchen fürs Zelt gibt geht hier nicht. Aber es gibt trotzdem viele Naturzeltplätze, die wirklich wunderschön sind. Wir müssen sie uns halt nur mit allen anderen teilen. Das Gute an den Andern ist aber wiederum auch, dass wir uns viel mehr austauschen können und Tipps bekommen, wo man am besten langfahren kann. Wir können auch endlich mal wieder über die beste Ausrüstung mit anderen Radreisenden sprechen und fachsimpeln. Und wenn uns hier was am Fahrrad oder an der Ausrüstung kaputt geht, brauchen wir wirklich keine Angst zu haben. Es gibt hier eigentlich in jedem Ort einen Outdoorladen mit vernünftigen Sachen. Auch sehr beruhigend! 

Zusammengefasst kann man sagen: wir sind geschockt aber glücklich. 

Wir lernen jetzt also wieder:

  • uns ein schönes Land mit andern zu teilen, denn wo ein Fahrrad hinkommt kommt auch ein WoMo hin
  • Internetdatenvolumen ist nicht unbegrenzt und sehr teuer
  • Verkehrsregeln einzuhalten
  • das Wetter täglich zu checken
  • nach den günstigsten, leckersten Lebensmitteln zu suchen
  • im Voraus nach Zeltplätzen zu suchen
  • Es gibt nicht überall am Straßenrand Garagenläden mit den nötigsten Dingen die man zum Überleben braucht, man muss vorher für mehrere Tage einkaufen
  • nachts kann es sehr kalt sein
  • manchmal regnet es den ganzen Tag
  • Menschen können uns wieder verstehen 
  • dass die Sonne langsam untergeht
  • es gibt wieder Berge, die anstrengend sind
  • Straßen sind stark befahren (nicht von Mopeds)
  • die Sonne meint es hier sehr ernst

Wir radeln jetzt Nordwärts und versuchen nicht in jedes Tal abzubiegen, weil es so schön aussieht. Dann sind wir nämlich noch seeeehr lange unterwegs und das können wir uns hier leider nicht leisten. Es ist wirklich einfach alles schön hier. Egal wo man hinguckt, es ist schön und man möchte am liebsten überall hin. Und auch die Menschen sind alle so lieb. Wir sind ganz entzückt von den kleinen Nettigkeiten in fast jeder Begegnung. Bisher hat uns auch das Wetter richtig verwöhnt (bis auf die fette Wolke am ersten Tage, die gehörte wohl zum Schock mit dazu). Es wäre super, wenn das so bleibt. Wir werden berichten…

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Janine

    Hallo Ihr Zwei,

    ladet euch mal Wikicamps runter, in Australien hat uns das damals sehr geholfen :-), viel Spass in NZ.

  2. Sonja

    wunderschön geschrieben. Viel Spaß in Neuseeland!

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